Ein neuer Dreh in einer faszinierenden Geschichte
Der Einstein-de-Haas-Effekt, der vor mehr als hundert Jahren erstmals demonstriert wurde, bietet eine faszinierende Verbindung zwischen Magnetisierung und Rotation in ferromagnetischen Materialien. Ein Team um den ETH-Physiker Steven Johnson zeigt nun, dass der Effekt auch eine zentrale Rolle in Prozessen spielt, die auf der Pikosekunden-Zeitskala ablaufen. Sie liefern damit wichtige Erkenntnisse über Materialien, die als Grundlage für neuartige Elektronikbausteine dienen könnten.
Im Jahr 1915 berichteten Albert Einstein und Wander de Haas, dass eine Änderung der Magnetisierung eines aufgehängten Eisenstäbchens (durch Anlegen eines äusseren Magnetfelds) zu einer mechanischen Drehung des Stäbchens führt. Diese faszinierende Beobachtung dient immer noch als Lehrbuchbeispiel für den Zusammenhang zwischen Magnetismus und Drehimpuls. Neue Fragen in diesem Zusammenhang kamen jedoch auf, als vor rund 20 Jahren das Phänomen der "ultraschnelle Demagetisierung" entdeckt wurde. Dort geht die Magnetisierung innerhalb von Pikosekunden oder noch schneller verloren, und die Frage "Wo bleibt der Drehimpuls?" wurde seitdem eifrig diskutiert. In der Fachzeitschrift Nature liefter nun ein Team von Physikern der ETH Zürich, des Paul Scherrer Instituts (Schweiz) und des SLAC National Accelerator Laboratory (USA), die Lösung zu dieser Frage. Sie zeigen, dass in einem ferromagnetischen Eisenfilm der Hauptteil des Drehimpulses auf das Gitter übertragen wird, wodurch das Material leicht verdreht wird wenn ihre Magnetisierung abnimmt. Der Nachweis, dass in diesem Szenario ein „ultraschneller Einstein-de-Haas-Effekt“ am Werk ist, schliesst andere Erklärungen aus und sollte Anhaltspunkte dafür bieten, wie die ultraschnelle Entmagnetisierung technologisch genutzt werden kann.
Kreiselnde Magnete
In ferromagnetischen Materialien richten sich die magnetischen Momente unzähliger Elektronen aus, um die charakteristisch starke Magnetisierung zu erzeugen. Die Elektronen dienen als Elementarmagnete, wirken aber aufgrund ihres intrinsischen Drehimpulses (oder Spins) auch als „Miniatur-Gyroskope“. Wenn die makroskopische Magnetisierung eines ferromagnetischen Materials geändert wird, dann ändert sich folglich unvermeidlich auch der begleitende Drehimpuls. Die Drehimpulserhaltung verlangt, dass diese Änderung kompensiert wird. Für ferromagnetische Materialien ist der mit ausgerichteten Elektronenspins verbundene Drehimpuls stark genug, um ihn in eine mechanische Drehung umzuwandeln, wenn der Drehimpuls auf das Gitter übertragen wird. Dies ist, was Einstein und de Haas gezeigt haben (ein Jahrzehnt vor der Einführung des zugrunde liegenden Spinkonzepts).
Bei der ultraschnellen Entmagnetisierung ist es schwieriger, zu verfolgen, was mit dem Drehimpuls passiert, wenn sich die Magnetisierung ändert. Dies vor allem, weil die relevanten Zeitskalen extrem kurz sind: in den letzten zwei Jahrzehnten wurde gezeigt, dass in mehreren metallischen Ferromagneten die Bestrehlung mit einem intensiven Laserpuls dazu führen kann, dass die Magnetisierung des Materials innerhalb von weniger als 100 Femtosekunden verschwindet. Dies ist interessant mit Hinblick auf schnelle optisch gesteuerte Elektronikbausteine, aber der Fortschritt auf diesem Gebiet wird dadurch gebremst, dass die für dieses Phänomen verantwortlichen mikroskopischen Mechanismen noch unvollständig verstanden sind. Das Team um Steven Johnson, Professor am Institut für Quantenelektronik der ETH Zürich und Teamleiter am Paul Scherrer Institut, zeigt nun, wie der Drehimpuls, der durch die Abnahme der magnetischen Ordnung aus dem Spinsystem verloren geht, innerhalb kürzester Zeit durch das Gitter absorbiert wird.
Ultraschnelle Änderungen nachverfolgen
Um Zugang zu den kurzen Zeitskalen zu erhalten auf denen sich die ultraschnelle Demagetisierung abspielt, nutzte das Team die Linac Coherent Light Source (LCLS) im SLAC National Accelerator Laboratory zur Durchführung von zeitaufgelösten Femtosekunden-Röntgenbeugungsexperimenten. Ihr Experiment war so konzipiert, dass sie Verformungen, wie sie bei der Übertragung des Drehimpulses auf das Gitter erwartet werden, mit hoher Empfindlichkeit erkennen können. Sie untersuchten einen Eisenfilm mit einer Dicke von einigen zehn Nanometern und fanden, dass die laserinduzierte Entmagnetisierung eine transversale Dehnungswelle auslöst, die sich von der Oberfläche der Probe in ihr Volumen ausbreitet. Diese Dehnungswelle, so erklären sie, muss von einer Änderung des Drehimpulses des Gitters herrühren, wobei nur der Einstein-de-Haas-Effekt als Ursache für das beobachtete Verhalten übrig bleibt. Ein Verglich der experimentellen Daten mit den Vorhersagean eines Modells legt nahe, dass 80% des Drehimpulses, der während des Entmagnetisierungsprozesses verloren geht, von den Spins auf das Gitter übertragen wird. Durch dieses Resultat konnten die Physiker zeigen, dass der ultraschnellen Entmagnetisierung sogenannte Spin-Flip-Prozesse zugrunde liegen – zumindest in der nun untersuchten Probe – und nicht etwa der Transport von Spins von einem Ort zum anderen.
Johnson und seine Kollegen erwarten jedoch, dass ein ähnliches Verhalten in anderen Materialien auftritt, in denen die Magnetisierung mit optischen Femtosekundenpulsen manipuliert werden kann. Ein solches ultraschnelles optisches Schalten ist im Hinblick auf praktische Anwendungen, beispielsweise für neuartige Magnetspeicher, von erheblichem Interesse. Der nun entdeckte neue Dreh bezüglich des berühmten Einstein-de-Haas-Effekts, zusammen mit den neuen fundamentalen Erkenntnissen, sollte wertvolle Richtlinien liefern für die Umsetzung dieses Versprechens in die Praxis.
Literaturhinweis
Dornes C, Acremann Y, Savoini M, Kubli M, Neugebauer MJ, Abreu E, Huber L, Lantz G, Vaz CAF, Lemke H, Bothschafter EM, Porer M, Esposito V, Rettig L, Buzzi M, Alberca A, Windsor YW, Beaud P, Staub U, Zhu D, Song S, Glownia JM, Johnson SL. The ultrafast Einstein–de Haas effect. Nature 565, 209–212 (2019). externe Seite doi: 10.1038/s41586-018-0822-7 | externe Seite Frei zugängliche Version