Gender-Bias in der Astronomie quantifiziert

Forschung

Zahlreiche Studien und persönliche Berichte belegen, dass von Frauen verfasste wissenschaftliche Arbeiten anders aufgenommen werden als jene ihrer männlichen Kollegen. Um diesen „Gender-Bias“ zu quantifizieren, haben drei ETH-Doktoranden eine Studie unternommen, in welcher sie mehr als 200’000 Astronomie-Publikationen ausgewertet haben. Das Ergebnis ist eindeutig: Arbeiten mit einer Erstautorin erhielten im Schnitt rund 10% weniger Zitate als vergleichbare Artikel mit einem Erstautor.

von Andreas Heinz Trabesinger
Gender
(Foto: ETH Zürich/D-PHYS Heidi Hostettler)

Über unterschiedliche Forschungsfelder hinweg gibt es heute klare Hinweise auf einen „Gender Bias“ in der Wissenschaft. Insbesondere sichtbar ist dieser im Bereich des wissenschaftlichen Publizierens. Das Geschlecht der Autoren sollte im Prinzip keine Rolle spielen, aber in der Praxis tut es dies doch. Zum Beispiel wurde gezeigt, dass eine Arbeit von Gutachtern niedriger bewertet werden kann, wenn der Erstautor — in der Regel jene Person, die am meisten zum wissenschaftlichen Inhalt beigetragen hat — als weiblich erkennbar ist. Auch sind Frauen in prestigeträchtigen Publikationen unterrepräsentiert und erhalten tendenziell weniger Zitate.

Aber auch wenn solche Erkenntnisse eindeutig auf einen ausgeprägten Gender-Bias hindeuten, so gibt es heutzutage trotzdem erst wenige repräsentative Studien, die quantitative Aussagen liefern. Als Beitrag zur Beseitigung dieser Lücke präsentieren Neven Caplar, Sandro Tacchella und externe SeiteSimon Birrer vom Institut für Astronomie der ETH nun die bisher umfangreichste quantitative Auswertung des Gender-Bias im Bereich der Astronomie. Sie berücksichtigten mehr als 200’000 Publikationen, die zwischen 1950 und 2015 in den fünf Zeitschriften Astronomy & Astrophysics, Astrophysical Journal, Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, Nature und Science veröffentlicht wurden. Diese Zeitschriften sind historisch bedeutsam und haben entsprechende Archive. Zudem decken sie den Löwenanteil an Forschungsarbeiten ab, die auf dem Gebiet der Astronomie veröffentlicht wurden.

Eine Geschlechterfrage

Um mit einer solch grossen Menge an Daten arbeiten zu können, nutzten die ETH-Forscher eine Technik des maschinellen Lernens, den sogenannten „Random Forest“-Algorithmus. Im Wesentlichen haben sie diesen Algorithmus mit Daten von Publikationen mit männlichen Erstautoren darauf ‚trainiert’, Vorhersagen darüber zu machen zu können, wie viele Zitate für einen Artikel erwartet werden können, wenn dieser zum Beispiel in einem bestimmten Jahr in einer spezifischen Zeitschrift erschien ist, mit einer definierten Anzahl von Co-Autoren und Referenzen. Diese sowie weitere Parameter, die in dieser Studie berücksichtigt wurden, sind nicht geschlechtsspezifisch. Der trainierte Algorithmus wurde danach dafür verwendet, Vorhersagen für Publikationen zu machen, von denen Caplar, Tacchella und Birrer wussten, dass sie eine Erstautorin haben. Und hier zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen den Vorhersagen und der tatsächlichen Anzahl an Zitaten: Autorinnen erhielten im Schnitt 10,4 ± 0,9% weniger Zitate als wenn ein Mann die selbe Arbeit geschrieben hätte. Der Gender-Bias wird kleiner je später im Intervall von 1950–2015 die Arbeit erschienen ist. Auch hat der Anteil an Publikationen mit einer Erstautorin über die Jahre zugenommen, von unter 5% in den Sechzigerjahren auf heute etwa 25%. Trotzdem ist während der gesamten untersuchten Zeitspanne die Anzahl der erhaltenen Zitate für Publikationen mit einem Erstautor höher als für Publikationen mit einer Erstautorin.

Natürliche Werkzeuge für Astronomen

Das Arbeit mit umfangrichen Datensätzen und die Berücksichtigung von verschiedensten Parametern, welche die Sicht auf die gewünschte Information beeinträchtigten könnten, ist ein integraler Bestandteil der modernen Astronomie. Das vorliegende Projekt hat denn auch begonnen, als Caplar, Tacchella und Birrer — damals Doktoranden in drei verschiedenen Gruppen des Instituts für Astronomie — einen Kurs über Datenwissenschaften im Departement Informatik besuchten.

Als es dann um die praktische Anwendung des Gelernten ging, erinnerten sie sich an einen Vortrag an ETH, in welchem die renommierten Astronomin Meg Urry von der Yale University (USA) über Frauen in der Wissenschaft sprach. Insbesondere waren sie davon beeindruckt, dass Urry "harte Daten" zeigte, um den Gender-Bias in der Wissenschaft aufzuzeigen, und nicht ausschliesslich von anekdotischen Erlebnissen berichtete. So hatten die drei Doktoranden ein ideales Projekt gefunden, um wichtige Instrumente der astronomischen Forschung anzuwenden und gleichzeitig Einblicke in ihre eigene Gemeinschaft zu erhalten.

Die Frage nach den Ursachen von geschlechtsspezifischen Vorurteilen, und wie diesen am besten zu begegnen ist, bleibt natürlich offen. Studien wie die von den ETH-Forschern nun präsentierte sollten aber dazu dienen, solchen Diskussionen eine solide Grundlage zu geben.

Autor: externe SeiteAndreas Trabesinger

Literaturhinweis

N. Caplar, S. Tacchella & S. Birrer, Quantitative evaluation of gender bias in astronomical publications from citation counts. Nat. Astron. externe Seitedoi: 10.1038/s41550-017-0141 (2017).

Längere Fassung: externe Seitehttps://arxiv.org/abs/1610.08984

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