Magnetischer Tanz unter dem Mikroskop

Experimentalphysikerinnen und -physiker des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching haben, mit massgeblicher Beteiligung des theoretischen Physikers Eugene Demler von der ETH Zürich, erstmals direkt und in mikroskopischem Detail beobachtet, wie magnetische Korrelationen die Bildung von sogenannten Loch-Paaren vermitteln. Die Arbeit schafft eine vielseitige Plattform für die Erforschung theoretischer Modelle der Hochtemperatur-Supraleitung.

von Andreas Trabesinger
Das Bild zeigt zwei schwarze Kugeln, die Löcher repräsentieren. Diese befinden sich in einer geordneten magnetischen Anordnung von Spins (die mit Kompassen illustriert sind).
Die beiden Kugeln stellen Löcher in einer geordneten magnetischen Anordnung von Spins (repräsentiert durch Kompasse) dar. Aufgrund dieser magnetischen Umgebung binden sich die Löcher paarweise. (Illustration: Christoph Hohmann, Munich Center for Quantum Science and Technology)

Supraleitung ist ein Paarsport. Will heissen, damit in bestimmten Materialien Ströme ohne elektrischen Widerstand fliessen können, müssen sich die beteiligten Ladungsträger paarweise anordnen, um so ihren Zauber entfalten zu können. In «konventionellen» Supraleitern besteht der Strom aus Elektronen, und die Paarbildung wird durch kollektive Bewegungen des Kristallgitters, sogenannten Phononen, vermittelt. Dieser Mechanismus ist gut verstanden. In den vergangenen vier Jahrzehnten wurden jedoch immer mehr Materialien entdeckt, die sich nicht innerhalb dieses kanonischen theoretischen Rahmens erklären lassen. Führende Theorien für diese «unkonventionellen» Supraleiter gehen davon aus, dass in solchen Systemen nicht Phononen, sondern magnetische Fluktuationen die Paarbildung bewirken – und überraschenderweise entstehen die magnetischen Wechselwirkungen aus der abstossenden Coulomb-Wechselwirkung zwischen Elektronen. Diese Modelle in Experimenten zu prüfen ist jedoch eine enorme Herausforderung. Umso bemerkenswerter ist es, dass es nun einem internationalen Team von Forschenden gelungen ist, zentrale Vorhersagen solcher Theorien experimentell zu bestätigen. Wie sie heute in der Fachzeitschrift Nature berichten, zeigte das Team um Sarah Hirthe, Prof. Immanuel Bloch und Dr. Timon Hilker vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching (Deutschland), Dr. Annabelle Bohrdt von der Harvard University (USA), Prof. Fabian Grusdt von der Ludwig-Maximilians-Universität München (Deutschland) und Prof. Eugene Demler vom Institut für Theoretische Physik der ETH Zürich, dass in einem synthetischen Kristall sogenannte Löcher – im Wesentlichen Leerstellen in einem mit Fermionen gefüllten Gitter – durch magnetische Korrelationen vermittelt Paare bilden können.

Paarweise zu neuartiger Physik

Der synthetische Kristall, den das Team geschaffen hat, besteht aus Atomen, die in komplexen optischen Strukturen gefangen sind. Letztere werden durch sich kreuzende Laserstrahlen gebildet. In einem solchen Kristall können die Schlüsselparameter, die die Eigenschaften und das Verhalten des Systems bestimmen, mit einem Grad an Präzision und Flexibilität kontrolliert werden, der bei realen Materialien normalerweise nicht möglich ist. Darüber hinaus können im Experiment in Garching einzelne Atome verfolgt und gleichzeitig ihre Wechselwirkungen mit anderen Atomen untersucht werden, was einen mikroskopischen Einblick in das betreffende Quantenvielteilchensystem ermöglicht.

Für die aktuellen Experimente wurden diese Fähigkeiten genutzt, um ein Modellsystem für magnetisch vermittelte Paarbildung zu realisieren welches auf den ersten Blick unphysikalisch erscheint. Dies, weil die Experimente von einem System ausgehen, in dem sich Fermionen gegenseitig abstossen, was die Paarbildung energetisch ungünstig macht. In Systemen wie Cupraten – die 1986 entdeckte erste Klasse unkonventioneller Supraleiter – finden sich die Elektronen jedoch trotz dieser abstossenden Wechselwirkungen zu Paaren zusammen. Wie kann man diese Lücke zwischen Modell und Beobachtung überbrücken? Und wie kann man diese Paarwechselwirkung stark genug machen, so dass sie in Experimenten beobachtet werden kann?

Der Schlüssel zur Beantwortung dieser Fragen ist ein Ansatz, den Grusdt und Demler (damals in Harvard) 2018 zusammen mit Kollegen vorgestellt haben. Sie zeigten, dass es clevere Möglichkeiten gibt, ein Modell von Fermionen mit abstossenden Wechselwirkungen so zu modifizieren, dass starke Paarwechselwirkungen entstehen. Sie nannten ihren Ansatz das gemischtdimensionale (mixD) t-J-Modell und erweiterten damit Arbeiten, die bis in die frühen 1990er Jahre zurückreichen, als mehrere Forscher – darunter die Gruppe von Maurice Rice an der ETH Zürich – sogenannte t-J-Leitermodelle formulierten, um die magnetisch vermittelte Paarbildung zu untersuchen. Das Hauptmerkmal des mixD-Modells ist, dass Fermionen in zwei Richtungen wechselwirken können, während sie sich nur in eine Richtung bewegen können.

Von theoretischer Abstraktion zu experimenteller Spielwiese

Die bemerkenswerte experimentelle Flexibilität bei der Erzeugung synthetischer Kristalle auf der Basis von atomaren Quantengasen und Lichtfeldern ermöglichte nun den ersten Nachweis solcher Bindungen, die durch abstossende Wechselwirkungen entstehen. Dank der Abstimmbarkeit des Systems konnten die Physiker die mixD-Systeme auch direkt mit dem Standardsystem vergleichen, in dem die abstossenden Wechselwirkungen zwischen den Löchern die Entstehung stark gebundener Paarzustände verhindern. Eines der ermutigenden Ergebnisse dieses Vergleichs, das durch numerische Simulationen von Bohrdt in Harvard unterstützt wird, ist, dass die Bindungsenergie um eine Grössenordnung erhöht werden kann. Dies ist wichtig, da diese Energieskala auch die maximale Temperatur festlegt, bei der das System noch supraleitend ist. Darüber hinaus deuten die Experimente auf eine beträchtliche Mobilität der gebundenen Lochpaare hin, was bedeutet, dass sie tatsächlich effiziente Stromträger sein könnten.

Dies sind inspirierende Erkenntnisse, die eine Vielzahl an Möglichkeiten für weitere Studien eröffnen. Einerseits sind die bisher untersuchten Systeme noch relativ klein. Grössere Systeme sollten detailliertere Erkenntnisse liefern, die wiederum einzigartige mikroskopische Einblicke in die Mechanismen bieten, die der unkonventionellen Supraleitung zugrunde liegen. Andererseits könnten die bei der Untersuchung synthetischer Systeme gewonnenen Erkenntnisse auf Festkörpermaterialien angewandt werden, um so in Zukunft neue Ansätze für höhere kritische Temperaturen bei Supraleitern zu finden.

Literaturhinweis

Hirthe S, Chalopin T, Bourgund D, Bojović P, Bohrdt A, Demler E, Grusdt F, Bloch I & Hilker TA: Magnetically mediated hole pairing in fermionic ladders of ultracold atoms. Nature 613, 463–467 (2023). doi: externe Seite10.1038/s41586-022-05437-y

Weitere Lektüre

externe SeiteResearch Briefing: Exotic pairing of charge carriers seen in a quantum simulation (in Englisch)

externe SeiteMedienmitteilung des Max-​Planck-Instituts für Quantenoptik

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