Die Besucherinnen und Besucher des Science Centers Technorama in Winterthur können jetzt von blossem Auge Atome sehen. Möglich wurde das durch die Zusammenarbeit zwischen dem Departement Physik der ETH Zürich und dem Technorama.

von Gaia Donati
Die Technorama-Ionenfalle
Ein Besucher blickt in die Ionenfalle im Technorama. (Foto: Palma Fiacco/Technorama)

Der Raum ist absolut dunkel, nur ein grosser roter Knopf zieht die Aufmerksamkeit sofort auf sich. Drückt man ihn, stellt eine Stimme aus dem Dunklen eine ungewöhnliche Frage: wie viele Atome befinden sich in einem Staubkorn? Dann fährt ein Panel zur Seite und die Besucherinnen und Besucher des Science Centers stehen vor einem grossen gläsernen Kasten, in dem sich eine aussergewöhnliche Apparatur befindet, die man ausserhalb eines Physiklabors selten – wenn überhaupt – zu sehen bekommt: eine lineare Paul-Falle für Barium-Ionen. Konzipiert und realisiert wurde sie von der Gruppe um Professor Jonathan Home im Departement Physik der ETH Zürich für das Technorama Winterthur. Vergleichbar mit einem Mikroskop, mit dem sie vielleicht in ihrer Schulzeit Zellen betrachtet haben, können die Besucherinnen und Besucher durch ein Okular an der Vorderseite des Glaskastens sieben einzelne Atome, angeordnet in einer Reihe beobachten.

Die Technorama-Ionenfalle

Das Mikroskop ist das bekannteste Tor zu einer besonderen Welt der sehr kleinen Dinge. Möchte man jedoch Atome mit blossem Auge sehen, benötigt man eine ganz andere Art wissenschaftlicher Instrumente. Die Ionenfalle im Technorama nutzt elektrische Wechsel- und statische Felder, um die geladenen Atome einzuschliessen; Laserlicht wird in die Falle eingespeist, um die Ionen abzukühlen, so dass sie stationär sind. Die Ionen können durch Laserlicht aus diesem so genannten Grundzustand in einen dunklen metastabilen angeregten Zustand versetzt werden, aus dem sie wieder in den Grundzustand zurückfallen, indem sie sichtbares Licht mit einer Wellenlänge von 493 nm aussenden. Diese Wellenlänge liegt nahe an der maximalen spektralen Empfindlichkeit des menschlichen Auges, weswegen Barium-Ionen die idealen Kandidaten für ein Museumexponat sind. In einem externe SeiteLive-Stream aus dem Science Center kann man auch von daheim aus beobachten, wie sich die Ionen in ihrem fluoreszierenden Grundzustand ordentlich in einer Reihe befinden. Bis dann einige von ihnen verschwinden um später als Folge der lasergesteuerten Anregung wieder aufzutauchen.

Eine Falle, viele Stimmen

Atome sind die Bausteine der Materie. Aber in unserem makroskopischen Leben machen wir uns nur selten Gedanken über den atomaren Zustand, in dem die Referenzlänge der Radius eines Atoms ist, was einem Zehntel eines Milliardstels eines Meters entspricht, und die Objekte den Gesetzen der Quantenmechanik gehorchen. Der Blick in den nächtlichen Himmel gelingt uns da schon müheloser und häufiger. Und auch wenn die astronomischen Entfernungen und Phänomene genauso wenig nachvollziehbar sein mögen, so sind astronomische Observatorien und Teleskope schon seit langem für die Öffentlichkeit zugänglich. Von dem wissenschaftlichen Instrumentarium, dass die Beobachtung von Atomen ermöglicht, lässt sich das leider nicht behaupten.

Die Lücke möchte das Technorama mit der Ausstellung «Atome sehen», die am 30. Mai 2023 eröffnet wurde, schliessen und den Besucherinnen und Besuchern die quantenmechanische Welt der Atome näherbringen. Thorsten-D. Künnemann, Direktor des Technoramas, eröffnete die Vernissage und wies auf die Einzigartigkeit des neuen Exponates hin. Die Ionenfalle gehört nun zu den Hauptattraktionen des Science Centers. Nicht nur, weil sie speziell für die Ausstellung konzipiert wurde, sondern auch, weil es eine grosse Herausforderung war, die Apparatur für die Besucherinnen und Besuchern interaktiv zu gestalten. Das gelingt bei anderen wissenschaftlichen Exponaten doch etwas leichter. Daher war es wichtig, die Ausstellung um die Ionenfalle herum zu konzipieren, so dass sich Besucherinnen und Besuchern mit der Physik der gefangenen Teilchen auseinandersetzen können. Der Rektor der ETH Zürich, Günther Dissertori, dankte Jonathan Home und seiner Gruppe für die Idee, Atome einer interessierten Öffentlichkeit sichtbar zu machen sowie den Mitarbeitern des Technoramas für die hervorragende Umsetzung. Anschliessend betrat Home das Podium und thematisierte den Zusammenhang zwischen gefangenen Ionen und dem Quantencomputing. Home führte aus, dass diese geladenen Atome durch ihre Isolation von der Umgebung echte quantenmechanische Systeme darstellten, die zur Simulation verschiedener komplexer Systeme genutzt werden können. Mit klassischen Rechenmethoden wären diese Simulationen nur schwer zu handhaben.

Die Eröffnungsreden wurden durch einen ‹Science Slam› abgerundet, der von ehemaligen und aktuellen Mitgliedern von Homes Gruppe präsentiert wurde: Dr Natascha Hedrich, Dr Pavel Hrmo, Dr Diana Aude Craik und Moritz Fontboté-Schmidt. Sie stellten sich der Herausforderung, dem interessierten Publikum sehr technische Themen, vom Dopplereffekt bei der Laserkühlung der Ionen, bis hin zu Messungen der Isotopieverschiebung an gefangenen Teilchen, in wenigen Minuten, komprimiert zu vermitteln.

Atome sehen
Besucher versammeln sich vor dem Eingang zur Ausstellung «Atome sehen». (Foto: ETH/D-PHYS/Kilian J. Kessler)

Die Ausstellung um die Ionenfalle

Das Projekt, um das herum nun die Ausstellung entstand, hat eine lange Vorgeschichte. Erste Gespräche zwischen dem Departement Physik und dem Technorama fanden bereits 2018 statt. Da sich das Technorama sehr für das Thema interessierte, begannen Jonathan Home und seine Gruppe damit, zu recherchieren und definieren was benötigt wird, um eine geeignet Ionenfalle zu realisieren. Die Gruppe sicherte die Finanzierung durch die ETH und den Schweizerischen Nationalfonds und stellte ein Team zusammen, dem auch der Ingenieur Ilia Sergachev und die Postdoc-Forscherin Natascha Hedrich angehörten. Ende 2021 wurde die Ionenfalle dann am Technorama aufgebaut. Im Lauf des Jahres 2022 wurde sie vor Ort getestet und die Rückmeldungen des Publikums erfasst.

Nach der Ionenfalle werden die Besucher dank der aktivierenden und interaktiven Gestaltung der Ausstellung dazu angeregt, sich intensiver mit der Materie, die uns umgibt auseinanderzusetzen. So werden die Besucher beispielsweise aufgefordert, die Lebensdauer des dunklen angeregten Zustands eines Barium-Ions zu messen, indem sie zählen, wie viele Sekunden ein Ion dunkel bleibt, bevor es wieder sichtbar wird. Dank einer Nebelkammer können die Besucher auch die Spuren sehen, die elektrisch geladene Teilchen wie Protonen und Myonen auf ihrem Flug durch das Gebäude des Technoramas hinterlassen. Ihre Gedanken und Überlegungen können die Besucherinnen und Besucher gegen Ende der Ausstellung auf Post-Its notieren und auf die Feedback-Wand kleben, was interessante Einblicke in Wahrnehmungen und Gedankenwelten ermöglicht.

In seiner Rede drückte der Rektor der ETH, Dissertori aus, er hoffe, die Möglichkeit, Atome wahrhaftig sehen zu können, wecke das Interesse an der Physik und bringe die Besucherinnen und Besucher dazu, weiterhin Fragen zu stellen. Ein Blick auf die Feedback-Wand zeigt, dass dies bereits der Fall ist. So fand sich dort die Frage: «Seit wann gibt es Atome?» – eine schöne Frage, die nach mehr faszinierender Physik verlangt.

Post-Its auf der Feedback-Wand
Auf der Feedback-Wand der Ausstellung sind viele Fragen der Besucher zu finden. (Foto: ETH/D-PHYS/Kilian J. Kessler)


Aus dem Englischen übersetzt von Kilian Kessler

 

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