Produktives Scheitern will gelernt sein

In einem Pilotprojekt hatten die Lernenden am Departement Physik aus vier Lehrberufen die Aufgabe, zusammen ein interaktives Ausstellungsobjekt zu bauen. Dabei lernen sie viel über Teambildung, interdisziplinäres Arbeiten und wie man produktiv scheitert. Physics4mation wird nun definitiv eingeführt.

von Kilian Kessler
Physics4mation
«Ich habe mich drauf gefreut, weil ich viel Neues lernen konnte» sagt Ramon, angehender Elektroniker. (ETH Zürich/D-PHYS/Kilian J. Kessler)

«Es ist toll, wenn man etwas anderes machen kann als sonst in der Ausbildung!» antwortet die angehende Physiklaborantin Samira auf die Frage, was sie von der Projektarbeit Physics4mation erwartete. Zusammen mit acht weiteren Lernenden freute sie sich auf das Pilotprojekt. Die Aufgabe: als Team innerhalb von drei Monaten ein funktionierendes und interaktives Exponat für die Berufsmesse in Zürich zu bauen. Das Besondere dabei: Jedes Teammitglied kommt aus einem anderen der vier Lehrberufe, in denen am Departement Physik ausgebildet wird. Denn die interdisziplinäre Zusammenarbeit steht im Fokus dieser Projektarbeit.

Viele Möglichkeiten und Ideen

«Es waren sehr schnell viele Ideen vorhanden», erzählt Samuele, Physiklaborant in Ausbildung. Sein Team konstruierte und baute ein interaktives Kugel-Labyrinth mit Zeitmessung: Die Spielenden müssen mit Hilfe eines Joysticks die Kugel durch das Labyrinth manövrieren. Zu Diskussion stand auch ein Mühlespiel, welches mit LEDs den Spielstand und weiteres mehr hätte anzeigen sollen. Samuele räumt ein, dass sie viel Zeit damit verloren hätten die Details des nicht realisierten Mühlespiels zu diskutieren.

Physics4mation
«Unser Problem war die Kommunikation» sagt Samira, angehende Physiklaborantin. (ETH Zürich/D-PHYS/Kilian J. Kessler)

Auch für das Labyrinth hatten sie mehr Ideen, als schlussendlich realisiert werden konnte. Tobias, lernender Elektroniker: «Das Projekt war super und auf das Endprodukt sind wir sehr stolz. Aber wir haben uns zu lange damit auseinandergesetzt, wie es aussehen soll und was wir eigentlich genau machen wollen».

Das zweite Team entschied sich für eine interaktive Kugelbahn, ebenfalls mit Zeitmessung. Hier sucht sich die Kugel ihren Weg von oben nach unten und die Spielenden müssen den Lauf der Kugel in Gang halten. «Wir hatten verschiedene Ideen für die inneren Module» erzählt der angehende Elektroniker Ramon und sein Berufs- und Teamkollege Micha fährt fort: «Wir diskutierten die Module und entschieden, welche wir verbauen wollten. Einen Looping zum Beispiel erachteten wir als zu gross. Er schied dann aus.»

Wer führt?

Wie wichtig es ist, sich fortlaufend auszutauschen und gegenseitig zu informieren, lernte das Team Kugelbahn auf die harte Tour: Die Pläne mussten nachträglich geändert werden, da teamintern nicht kommuniziert worden war, welche Masse die CNC-Fräsmaschine bearbeiten konnte. Das kostete Zeit und hatte zur Folge, dass bis zuletzt noch Teile verbessert werden mussten. Samira hat daraus gelernt: «Zuerst: Abklären, ob es geht».

Spät im Projektverlauf übernahm dann Ramon die Funktion des Team-Leaders für die Kugelbahn. Er begann in Eigeninitiative im 3D-Druck Teile zu produzieren und konnte so wieder Zeit aufholen. «Ramon hat nicht nur die Gruppenleitung übernommen» so Berufskollege Micha, «sondern auch das Projekt durch 3D-Druck vorangebracht.»

Paul, angehender Konstrukteur des Teams Labyrinth, fand sich ebenfalls in einer Führungsposition wieder: «Das war mein erstes Teamprojekt. Ich konnte die Gruppenleitung übernehmen, wodurch ich viel lernte». Der Beruf des Konstrukteurs ist für eine solche Aufgabe prädestiniert: Projektmanagement, bei welchem der Blick fürs Ganze geschult wird, ist Teil der Ausbildung.  

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«Auf den Konstruktionszeichnungen war es oft zu genau» sagt Jeremy, angehender Polymechaniker. (ETH Zürich/D-PHYS/Kilian J. Kessler)

Die Zeit läuft

Pauls Teamkollege, angehender Elektroniker Tobias, meint dazu: «Nach dem Design durch den Konstrukteur wird das Objekt fabriziert. Danach folgt die Elektronik. Und Programmieren kann man erst, wenn alles fertig ist». Und da das Programmieren mehr Zeit beanspruchte als gedacht, konnten sie den Zeitplan nicht einhalten. Hinzu kam, dass sie sich nicht an ihre Planung hielten. Ein Versäumnis, aus dem alle Teammitglieder viel lernten.

Die Lernenden sollten während drei Monaten jeweils einen halben Tag pro Woche an dem Projekt arbeiten. Manche Lernende konnte mehr Zeit investieren, andere weniger, da sie noch anderweitig, z.B. mit Prüfungen, ausgelastet waren. Für den angehenden Polymechaniker Jeremy kam das Projekt zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Er befand sich turnusgemäss auf einem Versetzungsplatz im Büro. Das machte es für ihn schwierig, die Arbeit in der Werkstatt auszuführen. Ein Mitlernender an einem anderen Ausbildungsplatz sprang für Jeremy ein und fertigte die Labyrinth-Platte. «Es hat an meinem Ego gekratzt, dass ich das Labyrinth nicht selbst fräsen konnte» meint Jeremy.

Da sich beide Teams mit dem Zeitmanagement schwertaten, wurde die Abgabefrist schliesslich um einen Monat verlängert. Aber auch das reichte nicht aus. «Selbst mit sechs Monaten wären wir vermutlich nicht fertig geworden» meint Konstrukteur Paul. Sie hatten sich einfach zu viel vorgenommen.

Vergrösserte Ansicht: «Gemeinsam etwas aufbauen; darauf freute ich mich» Micha, angehender Elektroniker
«Kreativ sein und selber entscheiden können» sagt Micha, angehender Elektroniker. (ETH Zürich/D-PHYS/Kilian J. Kessler)

Zusammen mehr erreichen

Im Team Labyrinth war Tobias zusammen mit Lennert für die Programmierung der Steuerung der Labyrinth-Platte verantwortlich. Da Tobias im ersten Lehrjahr noch keine Erfahrung im Programmieren hatte, übernahm Lennert hier zu Beginn die Führung: «Ich konnte Tobias coole Sachen mitgeben». Da sie nie zusammen programmieren konnten, notierten sie sich gegenseitig ihre Gedanken auf Papier und hinterliessen sich diese Notizen gegenseitig am Arbeitsplatz.

Eines der Projektziele, dass die Lernenden auch in anderen Berufen als nur in ihrem eigenen arbeiten, sei nur teilweise erfüllt worden meint angehender Physiklaborant Samuele. Es habe aus Zeitgründen keinen Sinn gemacht, dass z.B. ein Elektroniker eine Bohrung ausgeführt hätte. Es sei effizienter gewesen, dass jeder in seinem Berufsfeld arbeitete. Dennoch ermöglichte es das Projekt, dass sich zum Beispiel Konstrukteur Paul öfters in der Werkstatt aufhalten und sich mit Polymechaniker Jeremy austauschen konnte. Jeremy erklärte Paul viel über die Limitationen der Maschinen und darüber, welche Toleranzen realistisch seien. So konnte die Fertigung der Teile vereinfacht werden.

Am Ende zählt auch das Resultat

Dass sie es trotz der Herausforderungen geschafft haben die Projekte auf einen Stand zu bringen, der nur wenig nachträglichen Feinschliff erforderlich machte, erfüllt die Lernenden mit Stolz: «Es war ein gutes Projekt, weil das Endprodukt steht und funktioniert. Und es ist sau-cool» findet Jeremy. Dem pflichtet Samira bei, denn für sie ist das Beste am ganzen Projekt «das Resultat!». Die Projektarbeit habe es ihm ermöglicht von den anderen im Team zu lernen, meint Samuele. Und Micha ergänzt, dass man nicht nur fachlich voneinander profitiert habe, sondern auch neue Freundschaften entstanden seien.

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«Es war ein gutes Projekt, weil das Endprodukt steht und funktioniert» sagt Jeremy, angehender Polymechaniker. (ETH Zürich/D-PHYS/Kilian J. Kessler)

Im Gespräch mit den Lernenden wird spürbar, dass sie im Projektverlauf viel gelernt haben: Projektmanagement, Kommunikation, Netzwerkaufbau und sie haben sich neues Fachwissen erarbeitet. Aber auch was für Herausforderungen bewältigt werden mussten, damit das Team sein Ziel erreicht. Dass dabei nicht immer alles reibungslos funktionierte, gehört, im Rückblick zumindest, zu den wichtigsten Erfahrungen für die Lernenden. Das Pilotprojekt Physics4mation ist damit erfolgreich durchgeführt worden und hat damit einen festen Platz in der Berufsausbildung am Physik-Departement auf sicher. Übrigens: sowohl die Kugelbahn als auch das Kugellabyrinth haben ihre Feuertaufe an der Berufsmesse im November 2023 unbeschadet überstanden.

Physics4mation
Finaler Einsatz an der Berufsmesse in Zürich. (ETH Zürich/Christian Richter)

Berufsbildung am D-PHYS

Am Departement Physik werden Lernende in den Berufen Polymechaniker:in EFZ, Physiklaborant:in EFZ, Elektroniker:in EFZ und Konstrukteur:in EFZ ausgebildet.

Um die Qualität der Berufsausbildung zu steigern und positive Lernerlebnisse zu ermöglichen, setzte sich Christian Richter, vollamtlicher Berufsbildner Polymechaniker EFZ, im Auftrag von Departementskoordinator Sebastian Huber, mit der Zukunft der Lehrberufe am D-PHYS auseinander. Richter evaluierte, konzipierte und betreute die Durchführung von Physics4mation. Alle Lernenden aus den vier Berufen sollen einmal während ihrer Ausbildung an Physics4mation teilnehmen. Interdisziplinäre Arbeiten, Netzwerkaufbau, Teamarbeit und projektorientiertes Arbeiten stehen im Fokus. Scheitern ist erlaubt, denn der Lern- ist wichtiger als der Projekterfolg.

Das Akronym physics4mation zitiert verschiedene Aspekte der Projektarbeit: die Zugehörigkeit zum Departement Physik, die Ziffer 4 für die vier Berufe, für welche die Grundausbildung angeboten wird, sowie «mation», abgeleitet von Formation, als Synonym für den Teambildungsprozess.

Physics4mation wurde 2023 zum ersten Mal durchgeführt und die Resonanz der Lernenden war durchwegs positiv. Dennoch zeigte die Evaluation, dass in einzelnen Bereichen optimiert werden muss: z.B. beim Zeitpunkt der Durchführung im Jahr oder auch bei der Zusammenstellung der Teams. Es gilt als sicher, dass Physics4mation von nun an jährlich durchgeführt werden wird.

Weitere Informationen finden sich auf der Berufsbildung Seite.

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