Quantenmechanik zwischen Intuition und Formalismus lernen
Wenn es mehrere Wege gibt, Quantenmechanik zu lehren, muss es auch mehrere geben um sie zu erlernen.

An der ETH Zürich kommen Physikstudierende im zweiten Studienjahr erstmals mit der Quantenmechanik (QM) in Berührung: Im Kurs Physik III werden grundlegende Konzepte der Optik, der statistischen Mechanik und der QM vermittelt. Im dritten Studienjahr vermittelt Quantenmechanik I den Studierenden vertiefte Kenntnisse der Theorie und ihres Formalismus. Studierende, die sich für theoretische Physik interessieren, können anschliessend den BSc-Kurs Quantenmechanik II belegen, um mehr über Quantensysteme mit vielen Bosonen oder Fermionen zu erfahren. Auf MSc-Ebene lernen die Studierenden der theoretischen Physik die Quantenfeldtheorie kennen, die für die theoretische Teilchenphysik von grundlegender Bedeutung ist und können sich dafür entscheiden, mehr über die Quanteninformation zu erfahren, die den Weg zu so unterschiedlichen Themen wie Quantencomputing und Quantengravitation öffnet.
Erste Begegnungen
Severin Spillmann, MSc-Student der theoretischen Physik, erinnert sich an die erste Begegnung mit dem Formalismus der QM. «Am Anfang hatte ich Schwierigkeiten mit dem Konzept des Quantenzustands. Ich glaube, ich fand Wellenfunktionen etwas intuitiver», erzählt er. Er vergleicht den Übergang von der Wellenmechanik zur Matrixformulierung der QM (seinerzeit eingeführt in Quantenmechanik I) damit, wie die klassische Newtonsche Mechanik mit der Einführung des Lagrange-Formalismus überdacht werden kann.
Die lineare Natur der Theorie überraschte Han-Miru Kim, MSc-Student der Mathematik, der die meisten QM-Kurse des Departements Physik belegte. Als er sich in den Formalismus der QM vertiefte, war Kim – der die von allen Dozierenden gemeinsam genutzten Vorlesungsunterlagen als hilfreich empfand – der Meinung, dass mehr explizite Verweise auf und Erinnerungen an die Ergebnisse der linearen Algebra, die in den quantenmechanischen Ableitungen verwendet werden, für zusätzliche Klarheit gesorgt hätten.
Karin Sim, Doktorandin in theoretischer Physik im dritten Jahr, erwarb ihren BSc an einer britischen Universität, bevor sie an die ETH Zürich kam, um ihren Master in Physik zu machen. Sie entschied sich für den Studiengang Theoretische Physik und freute sich auf den Kurs Quantenfeldtheorie I, der ein Thema abdeckte, das für sie bis dahin eine Blackbox geblieben war. Sims Eindruck ist, dass die ETH die QM mit einem sehr rigorosen Ansatz lehrt, der einen starken Fokus auf den mathematischen Formalismus der Theorie legt. Während ihres Bachelorstudiums wurde sie allmählich in die Quantenphysik eingeführt, und zwar auf eine Art und Weise, die sich erst spät auf mathematische Formalismen stützte und stattdessen darauf abzielte, eine Art physikalische Intuition für den Sinn quantenmechanischer Phänomene zu entwickeln. «Es gab häufig Verbindungen zur klassischen Physik», erinnert sich Sim.
Die Bedeutung der Intuition
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verbringen Jahre damit, ihre Intuition dafür zu schärfen, wie die Dinge in ihrem Fachgebiet funktionieren. Sie sehen die Intuition nicht als Ersatz für Experimente oder Berechnungen, sondern eher als eine Art zusätzlichen Input, der sie manchmal bei ihren Forschungsaktivitäten leiten kann. Die QM wird oftmals so dargestellt, dass sie sich der Intuition entzieht. Ist es dann sinnvoll, die Studierenden zu ermutigen, sich auf ihre physikalische Intuition zu verlassen, während sie sich mit diesem Thema auseinandersetzen?
Wenn ja, wie lässt sich in diesem Zusammenhang am besten eine Art von Intuition entwickeln? Sim findet, dass die Parallelen zwischen klassischer und Quantenmechanik ihre physikalische Intuition positiv beeinflusst haben. Als sie als Lehrassistentin im Kurs Quantum Physics for Non-Physicists arbeitete, sah sie, dass die Studierenden dank ihrer soliden Kenntnisse der linearen Algebra kaum Probleme mit den mathematischen Ableitungen hatten, bemerkte aber, dass sie etwas mehr Mühe hatten, einige Schlüsselkonzepte zu visualisieren. «Ich glaube, die Lernenden brauchen Zeit, um der Wahrscheinlichkeitscharakter der Messung und die Idee der Überlagerung zu verstehen», sagt sie.
Kim hatte das Gefühl, dass es für ihn schwieriger war, seine Intuition in der QM zu entwickeln, als für seine Kolleginnen und Kollegen in der Physik, die etwas schneller Verbindungen herzustellen schienen. Kim zog es vor, auf die mathematischen Ableitungen zu warten – auch wenn sie «gelegentlich die Mathematik der Physiker enthielten», scherzt er.
Für Spillmann ist die Suche nach Parallelen zur klassischen Physik beim Erlernen der QM nicht sonderlich hilfreich. «Ich denke, es ist besser einen klaren Schnitt zu haben – einen Punkt, an dem man einer neuen Art Dinge zu tun ausgesetzt ist und nicht versucht sein sollte, sie mit seiner klassischen Intuition in Einklang zu bringen». Spillmann ist davon überzeugt, dass QM-Kurse sich auf den Formalismus der QM konzentrieren sollten, ein Aspekt, der ohne einen erfahrenen Dozierenden entmutigend sein kann.
Jenseits des Lehrbuchs der Quantenmechanik
Die QM zeichnet sich als ein Thema aus, das sich in seiner Tiefe und Komplexität jedem, der es studiert und aktiv daran arbeitet, immer wieder neu erschliesst. «Das Erlernen der Quantenmechanik ist nicht wie das Lesen einer Geschichte mit einer überraschenden Wendung. Ich glaube nicht einmal, dass man einen ‹Aha›-Moment braucht. Man muss verstehen, wie die Dinge funktionieren und akzeptieren, dass die Quantenmechanik eine Handlung ist, die sich langsam herauskristallisiert, wenn man schrittweise mehr von diesem Thema versteht», sagt Spillmann. Er hat sich angewöhnt, einen beträchtlichen Teil seiner Zeit für das Selbststudium all seiner Kurse zu verwenden und manchmal schon vor Beginn der Vorlesungen mit der Lektüre zu einem Thema zu beginnen. Bei QM hatte er das Gefühl, dass sich dies nicht so sehr auszahlen würde, und wartete darauf, dass die Dozierenden ihn und seine Gruppe durch den Lernprozess führten.
Als Doktorandin geniesst Sim nun einen neuen Blick auf die Quantenmechanik. Ihre Forschung über offene Quantensysteme ist eng mit der nicht-hermiteschen QM und der Quantenmessung verbunden: Sim gefällt, dass diese Forschung sie dazu gebracht hat, einige der Grundlagen der Theorie zu hinterfragen. «Man lernt, dass Hamiltonianer hermitesch sein müssen, und plötzlich wird man aufgefordert, sich zu fragen: Was ist, wenn das nicht der Fall ist? Was geschieht dann?» Diese und viele andere Fragen müssen die Physikforschenden von morgen beantworten.
Kurse in Quantenmechanik an der ETH Zürich
Physik III ist ein Bachelor-Kurs im zweiten Jahr, der für alle Physikstudierenden obligatorisch ist.
Quantenmechanik I ist ein Bachelor-Kurs im dritten Jahr, der für alle Physikstudierenden obligatorisch ist.
Quantenmechanik II ist ein Grundkurs im dritten Jahr des Bachelor-Studiengangs Theoretische Physik.
Diese Kurse sind auch für Mathematik-Bachelor- und Master-Studierenden zugänglich; Quantenmechanik I und II sind auch für Studierenden des ETH-Masters in Quantum Engineering zugänglich.
Quantum Field Theory I und Quantum Field Theory II sind Master-Kernkurse für den Lehrplan der Theoretischen Physik.
Quantum Information Processing I und Quantum Information Processing II sind Master-Kernkurse für den Lehrplan der Experimentalphysik; beide sind auch für Studierenden verschiedener anderer Studiengänge zugänglich.
Quantum Information Theory ist ein Master-Wahkurs für den Lehrplan der Theoretischen Physik.
Quantum Physics for Non-Physicists ist ein Kurs für den Master in Quantum Engineering, der auch von Informatikstudierenden belegt werden kann.
Aus dem Englischen übersetzt von Kilian Kessler