10 Jahre seit dem ersten Nachweis von Gravitationswellen
Wir sprachen mit Michele Vallisneri über seinen Wechsel an die ETH Zürich, seine Forschungspläne und die Auswirkungen des ersten Gravitationswellennachweises im Jahr 2015.

Michele Vallisneri ist Professor für Gravitationsphysik am Departement Physik der ETH Zürich. Er ist auch an den Aktivitäten von ETH Space beteiligt.
Wie haben Sie sich an der ETH Zürich eingelebt?
Ich bin seit Januar 2025 hier und habe derzeit einen Doktoranden und einen Postdoktoranden. Ein weiterer Student und zwei weitere Postdocs werden in den nächsten zwei bis drei Monaten kommen, so dass wir bald eine noch grössere Forschungsgruppe sein werden. Wir werden auch eng mit ETH Space verbunden sein, da ich das Schweizer Datenzentrum für die externe Weltraummission Laser Interferometer Space Antenna (LISA) leite: Das bedeutet, dass es Programmierer geben wird, die nicht vor Ort sein werden, aber Teil der Aktivitäten der Gruppe sind.
Seit meiner Ankunft bin ich beeindruckt von der Professionalität der Kolleginnen und Kollegen, die ich im Departement und anderswo an der ETH kennengelernt habe. Initiativen wie die Unterstützung der Lehre und die Ausbildung von Führungskräften erscheinen mir sehr positi. Die grosszügigen Mittel, die für die Forschung zur Verfügung stehen, geben den Professorinnen und Professoren die Möglichkeit, eine Gruppe aufzubauen und Mitarbeitende einzustellen, bevor sie sich um Forschungsgelder bewerben müssen. Und man hat das Gefühl, Teil einer wichtigen Mission zu sein, wenn man die zentrale Rolle der ETH Zürich in der Schweizer Gesellschaft bedenkt.
Außerdem habe ich Zürich als eine junge, mehrsprachige Stadt kennengelernt - und ich fahre gerne mit der Tram! Meine Frau Elisa Piccio, die Archivarin ist, mein Sohn Luca und meine Tochter Clara werden diesen Sommer nachkommen. Sie freuen sich darauf, nach dem Leben in Kalifornien wieder in der ‚alten Welt‘ zwischen Bergen, Seen und Geschichte zu leben. Luca kann es kaum erwarten, die Mountainbikestrecken Zürichs zu erkunden, und Clara möchte in einer Fußballmannschaft mitzuspielen.
In welchem Zusammenhang stehen Sie mit der LISA-Mission, und welchen Platz nimmt sie in Ihrer Forschungstätigkeit ein?
Ich beschäftige mich mit dem Nachweis und der Interpretation von Gravitationswellen, also den Wellen in der Raumzeit, die von massiven astrophysikalischen Objekten, wie z. B. schwarzen Löchern, erzeugt werden, wenn sie sich wie in Doppelsternsystemen stark beschleunigen. Diese Wellen können auch als wandernde Muster von sich dehnenden und drückenden Gravitationskräften beschrieben werden; der Wirkung der Mondgezeiten auf den Ozean nicht unähnlich.
LISA ist ein weltraumgestütztes Gravitationswellenobservatorium, das gemeinsam von der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und der NASA verwaltet wird, wobei die ESA die Federführung hat, und dessen Start für 2035 geplant ist. Das ist die Mission, auf die ich seit Beginn meiner Karriere gewartet habe! Sie war das Thema meiner ersten Postdoc-Stelle und der Grund, warum ich bei der NASA/JPL als Wissenschaftler tätig war. Ich war der stellvertretende Projektwissenschaftler für LISA. Also derjenige, der zwischen den Ingenieuren, die die Mission konstruieren und bauen, und der wissenschaftlichen Community steht.
Als die NASA 2011 LISA wegen Verzögerungen beim James-Webb-Weltraumteleskop auf Eis legte, beschäftigten sich andere Wissenschaftler und ich mit anderen Bereichen des Gravitationswellenspektrums. In meinem Fall bedeutete dies, dass ich mich wieder mit den bodengestützten Detektoren LIGO und Virgo befasste, an denen ich als Doktorand am California Institute of Technology gearbeitet hatte. Als LIGO nach seiner Aufrüstung den Betrieb wieder aufnahm, war ich an den Vorbereitungen für die Datenanalyse beteiligt und nahm an der Bekanntgabe des ersten Nachweises teil. An diese Zeit habe ich tolle Erinnerungen!
Parallel dazu habe ich ab 2012 im Rahmen der NANOGrav-Kollaboration, die Beobachtungen bei sehr niedrigen Frequenzen durchführt, an einem Pulsar-Timing-Ansatz für die Gravitationswellendetektion gearbeitet. NANOGrav ist ein schönes Projekt, weil es interdisziplinär ist. Denn man braucht ein bisschen von allem: Von der Neutronensternphysik über die Physik des interstellaren Mediums bis hin zur Datenanalyse - das waren auch wirklich gute Jahre, in denen ich intensiv an statistischen Analysetools und Software gearbeitet habe. Was mich sehr glücklich macht, ist die Tatsache, dass meine NANOGrav-Postdocs später Führungspositionen auf dem Gebiet bekamen. Es war großartig, zur Ausbildung einer neuen Generation von Wissenschaftlern beitragen zu können! Im Jahr 2023 hatten wir endlich genug NANOGrav-Daten, um einen, einem Rauschen ähnlichen Hintergrund von Gravitationswellen um die 5nHz zu sehen, der wahrscheinlich von all den supermassereichen Doppelsternen im lokalen Universum stammt. Dieses Ergebnis war eine große Genugtuung, zumal es von einem im Vergleich zu LIGO kleinen Team kam: Die erste NANOGrav-Veröffentlichung wurde von sechs von uns geschrieben, und es fühlte sich wirklich wie meine Arbeit an.
Nach der Entdeckung von LIGO im Jahr 2015 wurde LISA in Europa und in den USA wieder aufgenommen, aber es wurde mir immer klarer, dass die Arbeit an dem Projekt bei der NASA mehr Einschränkungen unterliegen würde als dies an anderen Orten wie der Schweiz der Fall wäre. Um das Schweizer Datenzentrum für LISA aufzubauen, werden wir mit Kollegen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammenarbeiten. Ein beträchtlicher Teil der Hardware wird auch in der Schweiz hergestellt werden: ETH Space wird die Koordination dieser Arbeiten vom Departement Erd- und Planetenwissenschaften übernehmen. Sobald LISA im Jahr 2035 fliegt, werden wir in der ersten Reihe der LISA-Wissenschaft stehen und unglaubliche Einblicke in dunkle Objekte im Universum gewinnen. Ich sehe LISA als den Hauptschwerpunkt meiner Arbeit hier, aber ich bin auch sehr an der Möglichkeit interessiert, junge Forschende auszubilden und wieder zu lehren. Ich bin sicher, dass wir über LISA hinaus auf weitere interessante Themen stossen werden. Das ist auch der Grund, warum ich meine Gruppe Gravitational Physics Group genannt habe - zum einen als Hommage an Albert Einsteins Zeit an der ETH, zum anderen als Statement, dass wir uns nicht nur auf Gravitationswellen beschränken sollten.

Ausgehend von dem, was Sie vorhin sagten, deckt jedes Experiment - LIGO, LISA und NANOGrav - einen anderen Frequenzbereich für den Nachweis von Gravitationswellen ab. Was lernen Sie jeweils aus diesen unterschiedlichen Frequenzbereichen?
Der wichtigste Punkt ist, dass es eine Entsprechung zwischen den Nachweisfrequenzen und den beobachteten Quellen von Gravitationswellen gibt - die Frequenz entspricht ziemlich direkt der Masse der Quelle. Mit einem bodengestützten Detektor liegt die Frequenz bei etwa 100 Hz, und was man beobachtet, sind stellare Überreste, schwarze Löcher und Neutronensterne, d. h. man befindet sich im Bereich von Quellen mit einer bis 100 Sonnenmassen. Tatsächlich wussten wir nicht, dass Schwarze Löcher bis zum 100-fachen der Masse unserer Sonne reichen können! Bei größeren Schwarzen Löchern, wie denen im Zentrum unserer Galaxie, sind es etwa eine Million Sonnenmassen, und man kommt in den LISA-Frequenzbereich, der im mHz-Bereich liegt. Auf der Erde kann man diese Quellen nicht aufspüren, da das seismische Rauschen den Frequenzbereich auf 10 Hz oder mehr begrenzt - deshalb ist es notwendig, sich von unserem Planeten zu entfernen und sich in den Weltraum zu begeben. Im Weltraum zu sein bedeutet auch, dass man einen größeren Gravitationswellendetektor bauen kann, der die Ausdehnung und Kontraktion von Entfernungen, die durch Gravitationswellen verursacht werden, besser sichtbar macht. Wenn man weiter in den nHZ-Frequenzbereich hinabsteigt, erhält man Zugang zu supermassiven schwarzen Löchern, die sich im Inneren größerer Galaxien befinden. Deren Verschmelzung können wir nicht beobachten, weil sie zu lange dauert. Aber wir können die kontinuierliche Strahlung aller Löcher nachweisen, indem wir Pulsare, rotierende, radioemittierende Neutronensterne, als Zeitreferenz verwenden. So hat NANOGrav einen Hintergrund entdeckt, so etwas wie einen Chor, im Gegensatz zu einer einzelnen Stimme - in Zukunft werden wir vielleicht auch in der Lage sein, einzelne Quellen zu isolieren.
Die erste Ankündigung eines Gravitationswellennachweises durch LIGO erfolgte vor zehn Jahren. Welche Auswirkungen hatte dieses Ereignis?
Der Übergang von einem Versprechen für die Zukunft: Wir sagen die Existenz von Gravitationswellen voraus und arbeiten daran, sie nachzuweisen, zum Status der experimentellen Wissenschaft im Galileischen Sinne: wir beobachten experimentell Quellen und Ereignisse, die Gravitationswellen erzeugen. Das war ein entscheidender Übergangspunkt! Nach 2015 hielt ich viele Vorträge, in denen ich sagte: «Endlich kann ich experimentelle Daten auf meiner ersten Folie zeigen!» Zehn Jahre später umfasst der Katalog von LIGO und Virgo fast 100 Ereignisse - auf diesem Niveau kann man statistische Analysen durchführen. Alle Ereignisse sind wertvoll, aber das erste Ereignis ist nach wie vor etwas Besonderes. Wir haben herausgefunden, dass schwarze Löcher viel schwerer sein können, als wir dachten; das war ein echter Durchbruch. Dann gab es 2017 ein Ereignis, das bisher einzigartig geblieben ist: eine Neutronenstern-Verschmelzung, die von LIGO und von astronomischen Observatorien auf der ganzen Welt entdeckt wurde, und zwar bei optischen, Röntgen- und Gammastrahlen-Wellenlängen. Wir wissen, dass solche Neutronenstern-Ereignisse im Vergleich zu Verschmelzungen mit Schwarzen Löchern selten sind, weil sie von Natur aus schwächer sind.
Heute ist die die Gravitationswellenastronomie ein blühendes Forschungsgebiet, und wir brauchen viele Menschen, um die Detektion von Gravitationswellen ins All zu bringen. Wenn man darüber nachdenkt, beginnt die Geschichte im Jahr 1915 mit Einsteins Herleitung der Gravitationswellengleichung. Die erste Veröffentlichung, in der gezeigt wurde, dass Gravitationswellen eine physikalische Wirkung haben und nicht nur ein Artefakt des Referenzrahmens und der Koordinatenwahl sind, erschien in den fünfziger Jahren. Zu dieser Zeit entdeckten Forschende auch das erste Schwarze Loch und entwickelten Laser - zwei Schritte auf einem jahrhundertelangen Weg, der uns von mathematischen Berechnungen zu einer neuen Art der experimentellen Astronomie führte. Ich glaube, Einstein wäre sehr beeindruckt gewesen!