
Vakuumfelder beeinflussen die Materialwissenschaften
Forschende zeigen, wie elektronische Korrelationen in zweidimensionalen Materialien durch elektromagnetische Vakuumfeldfluktuationen in einem leeren, optischen Resonator manipuliert werden können. Diese Erkenntnisse eröffnen neue Möglichkeiten für die Materialforschung in Kombination mit Resonator-Quantenelektrodynamik.
In der Physik gibt es oftmals irreführend einfache Szenarien. Zum Beispiel das elektromagnetische Vakuum, in dem es Nichts, auch keine Photonen gäben sollte. Doch seine vermeintliche Leere täuscht: Es gibt Vakuumfeldfluktuationen, die sich nur schwer direkt untersuchen lassen, sich aber durch eine Vielzahl von Phänomenen manifestieren. Die prominentesten Effekte, die durch Vakuumfeldfluktuationen herbeigeführt werden, sind dabei die spontane Emission und der Casimir-Effekt. Oder die Bewegung von Elektronen in zwei Dimensionen in Gegenwart eines elektrischen Stroms und eines Magnetfelds, das senkrecht zur Ebene der Elektronen angelegt wird: Senkt man die Temperatur des Systems, stellt man fest, dass der mit dem resultierenden Elektronenstrom verbundene Widerstand quantisierte Werte annimmt, die ganzzahligen oder gebrochenen Vielfachen der so genannten von-Klitzing-Konstante entsprechen. Dieses Phänomen ist als Quanten-Hall-Effekt bekannt.
Das Quantenregime des Hall-Effekts und die Vakuumfeldfluktuationen sind die Protagonisten einer neuen Studie. Sie wurde von Dr. Josefine Enkner, Lorenzo Graziotto und Mitarbeitenden der ETH Zürich, der Université Paris Cité und der École Normale Supérieure in Frankreich sowie von Princeton und dem Flatiron Institute in den USA verfasst. Die Ergebnisse dieser Arbeit, die soeben in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde, zeigen, wie Vakuumfelder in einem Resonator genutzt werden können, um stark korrelierte Elektronenphasen in zweidimensionalen (2D) Materialien zu manipulieren.
Der von Enkner, Graziotto und Kolleginnen und Kollegen verwendete Laboraufbau besteht aus einem 2D-Elektronengas aus Galliumarsenid in einer Quantentopf-Heterostruktur – dem so genannten Hall-Balken –, über dem ein beweglicher Resonator in Form eines komplementären Spaltringresonators (Split Ring Resonator) schwebt, der aus einer goldenen Metallschicht fabriziert wurde. Die Vakuumfelder im Resonator interagieren mit dem Elektronengas: deren Intensität im Elektronengas ist abhängig vom Abstand zwischen dem Resonator und dem Hall-Bar und kann beliebig variiert werden. Durch Anlegen eines starken senkrechten Magnetfelds untersuchte das Team stark korrelierte Quanten-Hall-Phasen durch Widerstandsmessungen, welche in Längsrichtung entlang des Balkens und quer dazu durchgeführt wurden. Für jede Messung wurde der Abstand zwischen Resonator und Elektronengas variiert. Die Ergebnisse zeigen, dass die Interaktion mit den Vakuumfeldern des Resonators einige Hall-Phasen verstärkt. Das bedeutet, dass sich die charakteristischen Plateaus, die in den Diagrammen des Hall-Widerstands – der quer zum Stab gemessen wird – als Funktion des Magnetfelds beobachtet werden, für die Teilzustände 5/3, 7/5 und 4/3 ausweiten.

Für die Demonstration dieses Phänomens verwendeten die Forscher ein spezielles Design für den Laboraufbau das sich grundlegend von früheren Designs unterschied: zuvor wurde der Resonator direkt auf den Hall Balken mittels Fotolithographie aufgedampft. Nun jedoch, ist der Hall-Balken von vier in die Heterostruktur geätzten Säulen umgeben, die einen physischen Kontakt zwischen dem Stab und der Goldebene des Resonators verhindern und gleichzeitig als Ausrichtungsreferenzen für das kryogenisch gekühlte System dienen. Das neue Design zeichnet sich dadurch aus, dass nun alle Effekte, die durch die Interaktion mit den Vakuumfelder verursacht werden, mit dem entkoppelten Zustand verglichen werden können, wenn Resonator und Elektronengas weit genug voneinander entfernt sind. Diese Technik war entscheidend, um die fraktionalen Hall-Phasen zu untersuchen und auszuschliessen, dass das beobachtete Phänomen von etwas anderem als den Vakuumfeldfluktuationen herbeigeführt wurde. Laut Enkner und Graziotto wird diese Art von Selbstreferenzierung für zukünftige Experimente mit komplexeren 2D-Materialien sogar noch wichtiger sein.
Um eine theoretische Grundlage für ihre Beobachtungen zu finden, haben sich Enkner, Graziotto und ihre Kollegen aus der Faist-Scalari-Gruppe mit dem langjährigen Kollaboratoren Cristiano Ciuti und seinem Doktoranden Dalin Boriçi zusammengetan. In dem Papier wird ein vereinfachtes theoretisches Modell vorgestellt, das auf weitreichenden („long-range“) Wechselwirkungen beruht, die durch virtuelle Resonator Photonen übermittelt werden, um zu erfassen, was mit den fraktionalen Hall-Phasen geschieht. Die Grundlage dieses Modells ist die Tatsache, dass fraktionale Hall-Zustände von Elektron-Elektron-Wechselwirkungen herrühren, so dass der Resonator zusätzliche Wechselwirkungen durch ein induziertes attraktives Elektron-Elektron-Potenzial mit grosser Reichweite vermitteln muss.
Das Team ist bereits damit beschäftigt, andere fraktionale Hall-Phasen mit ihrem Aufbau zu untersuchen. Längerfristig könnte diese Forschungsrichtung zu einem „Cavity Materials Engineering“-Ansatz führen, bei dem bestimmte Materialeigenschaften – von entscheidenden topologischen Merkmalen bis hin zur Supraleitung – durch elektromagnetische Vakuumfelder in einem Resonator verändert werden.
Aus dem Englischen übersetzt von Kilian Kessler
Literaturhinweis
Enkner, J. et al. Tunable vacuum-field control of fractional and integer quantum Hall phases. Nature (2025). externe Seite DOI:10.1038/s41586-025-08894-3