
Datenbasierte Erkenntnisse
Ein Interview mit D-PHYS-Absolventin Agnese Sacchi, Quantitative Risikomodelliererin bei Zurich Insurance.
Welche Entscheidung hat Sie zu Ihrer jetzigen Tätigkeit geführt?
Meine Masterarbeit war ausschlaggebend für meine Entscheidung, Risikomodelliererin bei einer Versicherungsgesellschaft zu werden. Im Rahmen meines Masterstudiums in Physik an der ETH Zürich habe ich am MIT meine Diplomarbeit in Computational Social Science geschrieben: Dort entdeckte ich meine Leidenschaft für die Gewinnung von Erkenntnissen aus grossen Datensätzen, insbesondere aus menschlichen Aktivitäten. Ich finde es unglaublich faszinierend, durch die Daten, die wir erzeugen, etwas über die Gesellschaft zu erfahren. In dieser Hinsicht bietet die Versicherungsbranche zahlreiche Möglichkeiten, da es sich um ein datengesteuertes Geschäft mit einer Fülle von Daten handelt, die im Laufe der Jahre gesammelt wurden. In meiner Funktion werden Daten häufig verwendet, um die Wahrscheinlichkeit verschiedener Ereignisse zu bewerten.
Ich war mir zunächst unsicher, welches Fachgebiet ich wählen sollte, und habe mich daher für eine Stelle entschieden, die es mir ermöglicht, an einer Vielzahl von Projekten zu arbeiten und verschiedene Arten von Risiken und Modellen zu untersuchen. In meiner Funktion unterstütze ich verschiedene Teams innerhalb des Unternehmens in quantitativer Hinsicht, in der Regel bei Projekten, die zwischen drei und sechs Monaten dauern. Ich habe im Bereich Marktrisiko gearbeitet, wo ich Finanzmärkte modellierte und Fragen wie „Wie hoch wird der Wert dieses Vermögenswerts in einem Jahr sein?“ bearbeitete. In einem anderen Projekt beschäftigte ich mich mit dem Risiko von Naturkatastrophen, wobei der Schwerpunkt auf Überschwemmungen lag. Dieses breite Spektrum an Themen ist genau das, was ich in meinen ersten Jahren in der Branche brauchte.
Was sind Ihre Aufgaben und Verantwortlichkeiten?
Dies hängt weitgehend von dem Projekt und dem Team ab, das ich unterstütze. In der Regel arbeite ich jedoch an eigenständigen Projekten, bei denen ich den größten Teil der Verantwortung für das erfolgreiche Ergebnis trage.
Zu Beginn eines jeden Projekts wird von mir erwartet, dass ich mich schnell in das Thema einarbeite und mehr über den Bereich erfahre, den ich unterstützen werde. Das ist für mich der dynamischste und interessanteste Teil, da alles neu ist und es keine dummen Fragen gibt. Wie sich das Projekt danach entwickelt, hängt von dem Team ab, das ich unterstütze. Manchmal werden mir genaue Aufgaben und Fristen zugewiesen, bei anderen Gelegenheiten habe ich mehr Flexibilität und ein höheres Mass an Verantwortung, so dass ich die nächsten Schritte festlegen und proaktiv mit den relevanten Interessengruppen zusammenarbeiten kann, um das Projekt voranzubringen.
In der Regel verbringe ich einen grossen Teil meines Tages mit der Programmierung, hauptsächlich in Python und gelegentlich in R. Ausserdem habe ich jeden Tag ein bis drei Besprechungen, um mich mit meinen Kollegen abzustimmen. Am Ende eines jeden Projekts gibt es eine Nachbereitungsphase, in der ich meine Arbeit detailliert dokumentiere und oft eine Präsentation vor einem oder mehreren Teams halte, um zu zeigen, was ich erreicht habe.
Was schätzen Sie an Ihrem physikalischen Hintergrund am meisten?
Es gibt viele wertvolle Fähigkeiten, die ich aus meinem Physikstudium mitnehme. Erstens habe ich eine strukturierte und logische Herangehensweise an Problemlösungen entwickelt, die sich auf eine breite Palette von Situationen anwenden lässt. Zweitens habe ich hervorragende analytische Fähigkeiten erworben, die es mir ermöglichen, neue Konzepte schnell zu lernen. Meine Physikausbildung hat mir ein solides Instrumentarium an die Hand gegeben, mit dem ich mir schnell weitere Fähigkeiten aneignen kann. In einer sich ständig weiterentwickelnden Landschaft von Technologien und Methoden ist die Fähigkeit, etwas Neues zu lernen – und zwar schnell – der grösste Vorteil. Ich stütze mich auch auf die mathematischen Kenntnisse und Programmierfähigkeiten, die ich während meines Studiums erworben habe, insbesondere die Fähigkeit, mit grossen Datensätzen zu arbeiten.

Sie haben an Programmen zur Karriereentwicklung teilgenommen und sind in die Bereiche Design Thinking Coaching und Versicherungsmathematik eingestiegen. Wie ergänzen diese Aktivitäten Ihr Physikstudium? Was raten Sie denjenigen, die sich über ihr Studium hinaus engagieren wollen?
Die ETH Zürich bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, die über die Vorbereitung auf einen bestimmten Karriereweg hinausgehen. Diese Angebote vermitteln nicht nur wichtige ergänzende Fähigkeiten, sondern sind auch eine gute Möglichkeit, motivierte Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund kennenzulernen.
Während der ETH-Woche entdeckte ich zum Beispiel die Design-Thinking-Methode, einen weit verbreiteten Ansatz für die Entwicklung von Lösungen, die auf reale Nutzerbedürfnisse eingehen. Ich fand sie faszinierend und beschloss, sie weiter zu erforschen, indem ich dank eines Kurses und einer Zertifizierung, die ebenfalls von der ETH Zürich angeboten wurden, ein zertifizierter Design Thinking Coach wurde. Diese Erfahrung bedeutete eine grosse Umstellung von meinem Physikstudium – wo ich Probleme lösen musste – zu einem Rahmen, in dem der erste Schritt darin besteht, reale Probleme zu identifizieren. Diese neue Perspektive war unglaublich anregend und führte mich in eine Denkweise ein, die im Design üblich ist, in meiner Ausbildung aber viel seltener vorkommt. Einige der ETH-Initiativen halfen mir auch, meine Soft Skills durch Angebote wie das Karriereprogramm von Femtec zu stärken. Dort habe ich Fähigkeiten wie Elevator Pitch, Rhetorik und Verhandlungsführung entwickelt – alles Fähigkeiten, die sich in Bewerbungsgesprächen und im Berufsleben als wertvoll erwiesen haben.
Zurzeit belege ich Kurse in Versicherungsmathematik an der ETH Zürich, um mein Verständnis für die Versicherungsmathematik und das Versicherungsgeschäft zu vertiefen: Dieses Wissen ist für meine derzeitige Tätigkeit sehr wichtig.
Ich rate allen, die sich über ihr Studium hinaus engagieren wollen, dies zu tun. Diese Möglichkeiten bieten einen unglaublichen Mehrwert. Ich würde sie nicht als zusätzliche Arbeit sehen, sondern eher als spassige Erfahrungen: Das waren sie für mich.
Aus dem Englischen übersetzt von Kilian Kessler